Lost Places oder die „Bestie von Beelitz“

Sebastian Stapf
4 min readAug 26, 2017

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Es gibt so manche Geburtstagsgeschenke, die vergisst man einfach nicht. Und bei noch wenigeren davon glaubt man im vornherein nicht, dass es sie überhaupt gibt. Mit Bestimmtheit kann ich aber sagen, eines von diesen besonderen Geschenken kenne ich und das ganze jährt sich bald schon wieder, ist aber damals in einer Blog-Unmut-Frust-Attacke ganz untergegangen.

In diesem Sinne, besser spät als nie…

Es hat einen gewissen Grusel-Schick — die alte Lungenklinik Beelitz-Heilstätten. Und trotz der zahlreichen Touristen dort, gibt es Flecken, da kann man ganz für sich sein. Und selbst bei Tag, ist es dann doch … ungemütlich.

Das war so einer meiner ersten Impulse, als wir zu dritt (nach Neu-Orientierung wegen überlaufener Touri-Tour) das Gelände der alten Männerklinik betraten.

Ich kenne, wenn auch höchst widerwillig, genügend Horrorfilme, die im strahlenden Sonnenschein beginnen. Doch dort warnt der verwaschene Filmlook den gespannten Zuschauer erahnen, das hier etwas schreckliches dräut. Eine subtil-visuelle Warnung, die uns nicht vergönnt war. Ich fühle mich wie in den ersten zehn Minuten von „House on haunted Hill“ (das Original von 1959 aber bitte). Und doch dachte ich naiv und tollkühn, dass fotografisch ein Dämmerlicht hier viel stimmiger wäre. Alles noch lustig, so lange man in der Gruppe unterwegs ist.

Aber irgendwann verliert man sich aus den Augen und steht plötzlich alleine auf dunkler Flur. Geführt ist die Tour für Fotografen nur bis zu den Eingängen. Im Gegensatz zu den üblichen Touri-Touren weiß man bei Go2Know, dass Kamerabewaffnete Halbprofis keinen Guide brauchen oder auch nur wollen. Diese Firma hat es verstanden und damit auch eine Empfehlung wert. Für fünf Stunden darf man den Verfall der Männerklinik ich sich und die Kamera aufnehmen.

Bewegte Geschichte um sich herum. Ein Gefreiter Hitler schlich hier durch die Gänge und ein ZK-Generalsekretär Honecker verbachte hier zusammen mit Leberkrebs seine letzen Tage in einem mittlerweile wiedervereinigten Deutschland. Nach dem Verfall dann Kulisse für Polanskis „Der Pianist“ und dazwischen die Fußstapfen von Tom Cruise für „Operation Walküre“. Man darf sich aussuchen neben welchen Fußabdrücken man schreiten möchte, aber alle keine (Schuh-) Größen.

Aber das hier war eine Klinik und damit wandert im Hinterkopf der Grimme Schnitter nur zwei Schritte hinter mir immer mit. Jeder rostrote Fleck erinnert mich daran — hier floss Blut. Auf die eine oder andere Art. Nicht nur das Dahinsiechen der damaligen Patienten lässt letzte röchelnde Atemzüge zwischen den maroden Wänden verhallen, sondern auch finale Schreie von blutenden Weltkriegs-Soldaten sind wie Feuchtigkeit in die Mauern gezogen. Alles noch da und spürbar.

Der unmittelbare Horror ist dagegen nicht allzu lange her. 1991 der Doppelmord durch den „Rosa Riesen“ gleich um die Ecke. Ingesamt sechs Morde soll die „Bestie von Beelitz“ verübt haben. Darunter ein Säugling und nur ein paar hundert Meter entfernt. 2008 dann ein Fotograf, der sein Modell in diesen Mauern ermordet hat. 2011 ein Obdachloser — Freitod durch Erhängen. Das alles hier.

Und genau mit diesen Gedanken wandere ich durch die menschenleere Gänge und warte darauf, dass mich neben einem rostenden Zahnarztstuhl Vincent Price im blutverschmierten Chirurgen-Dress begrüßt und bittet Platz zu nehmen. Es würde mir wahrscheinlich mehr weh tun, als ihm.

Bezaubernder Ort — ein fotografischer Spielplatz für Verfallbegeisterte. Für die Entspannung der Nackenhaare braucht es dann aber doch eine Weile.

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Sebastian Stapf
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Written by Sebastian Stapf

Analogue-guy being digitally overwhelmed…oh, and of course a writer. And I don’t write infomercials and don’t write for a niche, but what comes to my mind.

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